BRIEF EINER Kran­ken­schwes­ter in Aus­bil­dung – Teil 2

== Teil 1 == klick hier

Medi­ka­men­te sind die wahr­schein­lich wich­tigs­te The­ra­pie­form im Kran­ken­haus. Schmer­zen wer­den behan­delt, der Blut­druck gesenkt, der Puls wie­der in gere­gel­te Bah­nen gebracht. Vor­aus­set­zung dafür ist, dass sie rich­tig ver­ab­reicht wer­den. Der „5‑R-Regel“ nach müs­sen Pfle­ge­kräf­te auf den rich­ti­gen Pati­en­ten, das rich­ti­ge Medi­ka­ment in der rich­ti­gen Dosie­rung und Appli­ka­ti­ons­form und zum rich­ti­gen Zeit­punkt ach­ten.
In der Rea­li­tät sieht das meis­tens wie folgt aus: die Pfle­ge­kraft im Nacht­dienst stellt irgend­wann zwi­schen 0 und 3 Uhr die Medi­ka­men­te für alle 24 Pati­en­ten. Der­je­ni­ge wird hier­bei regel­mä­ßig durch die Pati­en­ten­glo­cken unter­bro­chen. Je nach Fach­ge­biet kann ein Pati­ent weit über zehn ver­schie­de­ne Tablet­ten benö­ti­gen. Beim letz­ten Rund­gang mor­gens um 4–5 Uhr wer­den die Tablet­ten­schach­teln ver­teilt. Offi­zi­ell über­prüft die ver­ab­rei­chen­de Pfle­ge­kraft im Tag­dienst die Medi­ka­men­te noch ein­mal.
Dies fin­det in der Rea­li­tät nicht statt, da wir kei­ne Zeit haben. Ich möch­te nicht dar­über nach­den­ken, wie vie­le Feh­ler des­we­gen passieren.Manche Medi­ka­men­te soll­ten nüch­tern ein­ge­nom­men wer­den. In der Rea­li­tät neh­men die Pati­en­ten aber alle Tablet­ten zum Essen ein.

Theo­re­tisch dür­fen vie­le Tablet­ten nicht geteilt wer­den, da sie eine Schutz­schicht haben und zum Bei­spiel über 24 Stun­den ver­teilt wir­ken sol­len. In der Rea­li­tät wer­den sie regel­mä­ßig gemör­sert, damit sie einem Pati­en­ten mit Schluck­stö­rung schnell mit Joghurt ver­ab­reicht wer­den kön­nen oder durch die Magen­son­de pas­sen. Dadurch kommt es zu Über­do­sie­run­gen.
Eigent­lich dür­fen Medi­ka­men­te nur durch exami­nier­te Pfle­ge­kräf­te oder Aus­zu­bil­den­de im zwei­ten oder drit­ten Lehr­jahr ver­ab­reicht wer­den.
In der Rea­li­tät über­neh­men dies oft Prak­ti­kan­ten ohne jeg­li­che medi­zi­ni­sche Vor­bil­dung, die Pati­en­ten im Lie­gen Essen ein­ge­ben, Tablet­ten oder Trop­fen ver­ges­sen oder falsch ver­ab­rei­chen und ver­ständ­li­cher­wei­se nicht fähig sind, im Fal­le einer Aspi­ra­ti­on von Nah­rungs­mit­teln ange­mes­sen zu reagie­ren. Das Argu­ment, dass jeder „füt­tern“ kann mag nicht völ­lig falsch sein, aber nur solan­ge ein Pati­ent nicht schwer pfle­ge­be­dürf­tig ist und Schluck­be­schwer­den hat, die im schlimms­ten Fall zum Ersti­cken füh­ren kön­nen. Natür­lich ist nicht jede Pfle­ge­kraft ein Engel und gibt sich Mühe.

In jedem Berufs­feld gibt es schwar­ze Scha­fe. Im All­ge­mei­nen aber sind wir gut aus­ge­bil­det und wol­len kom­pe­tent und ein­fühl­sam für unse­re Pati­en­ten sor­gen.
Die Aus­bil­dung, die ger­ne sehr gering­ge­schätzt wird, beinhal­tet vie­le Theo­rie­stun­den nicht nur zum Bet­ten­ma­chen, son­dern auch zu Ana­to­mie, Phy­sio­lo­gie, Phar­ma­ko­lo­gie, Krank­heits­leh­re, Psy­cho­lo­gie und zu recht­li­chen Aspek­ten. Dazu kom­men die zahl­rei­chen pfle­ge­ei­ge­nen The­men zur Pro­phy­la­xe von Krank­hei­ten, rich­ti­ger Ernäh­rung, Pfle­ge im Rah­men von Ope­ra­tio­nen, der Mobi­li­sa­ti­on von Pati­en­ten, dem rich­ti­gen Umgang mit schwer­kran­ken oder ster­ben­den Men­schen u.v.m., die teil­wei­se nur in unse­rer Aus­bil­dung gelehrt wer­den und bei­spiels­wei­se Ärz­ten gar nicht bekannt sind.
Ich habe mitt­ler­wei­le über 40 Fach­bü­cher ange­sam­melt. Die­ses Wis­sen wür­de ich sehr ger­ne anwen­den, wenn die Zeit dafür da wäre.
Im Moment wird das aller­nö­tigs­te an Pfle­ge getan, damit sich der Zustand der Pati­en­ten wenigs­tens nicht ver­schlech­tert.
Wenn es mehr Per­so­nal gäbe und wir nicht fach­frem­de Auf­ga­ben über­neh­men müss­ten, wie Tee kochen, Müll­sä­cke lee­ren, Ver­wal­tungs­auf­ga­ben erle­di­gen, put­zen und Essens­ta­bletts ver­tei­len, könn­ten wir unse­re Kom­pe­tenz dazu ver­wen­den, den Gesund­heits­zu­stand der Pati­en­ten tat­säch­lich zu ver­bes­sern und wei­te­ren Krank­hei­ten vor­zu­beu­gen. Oder einem schwer­kran­ken Men­schen ein­fach mal die Hand zu hal­ten. Wir sind im Kran­ken­haus die Per­so­nen, die immer da sind.

Die Ansprech­part­ner für die Kran­ken, und die Men­schen, die bei allein­ste­hen­den Pati­en­ten die Ange­hö­ri­gen erset­zen müs­sen. Jeder braucht Anspra­che und Gesell­schaft. Und wenn ich einen Tod­kran­ken, der unvor­stell­ba­re Schmer­zen hat, auch weil er aus Zeit­druck sei­ne Schmerz­me­di­ka­men­te nicht recht­zei­tig erhal­ten hat, der mich anfleht, ihn umzu­brin­gen, allei­ne las­sen muss, dann tut mir das unglaub­lich weh und dann wer­de ich das auch nie wie­der ver­ges­sen.
Wenn nun also end­lich Pfle­ge­kräf­te anfan­gen zu strei­ken, und zwar nicht ein­mal für das höhe­re Gehalt, das sie bei ihrer extrem hohen Ver­ant­wor­tung und Arbeits­be­las­tung defi­ni­tiv ver­dient hät­ten, son­dern für mehr Per­so­nal, damit Ster­ben­de nicht stun­den­lang in ihren eige­nen Exkre­men­ten lie­gen müs­sen und recht­zei­tig Schmerz­mit­tel erhal­ten, dann kann ich das nur begrü­ßen.

Dass ein so rei­ches Land sein Gesund­heits­sys­tem so ver­kom­men lässt und so wenig Respekt vor Alten und Kran­ken hat, ist pein­lich.
Und dass die Bevöl­ke­rung und vor allem aber die Medi­en die­ses The­ma weit­ge­hend igno­rie­ren, dass die größ­te deut­sche Tages­zei­tung in mehr als zehn Tagen kein ein­zi­ges Wort über die­sen Streik ver­liert, obwohl über alle ande­ren Streiks immer aus­führ­lichst berich­tet wird, dazu feh­len mir die Wor­te.

Ich kann nur hof­fen, dass sich etwas ändert, bevor es nie­man­den mehr gibt, der die­sen Beruf aus­üben möch­te, und das bei ste­tig stei­gen­den Zah­len von Pflegebedürftigen.Die wenigs­ten arbei­ten län­ger als ein paar Jah­re in der Pfle­ge. Ich wer­de ab Okto­ber exami­nier­te Gesund­heits- und Kran­ken­pfle­ge­rin sein und habe nicht vor, jemals auf einer „Nor­mal­sta­ti­on“ unter die­sen Bedin­gun­gen zu arbei­ten.

Ich könn­te es auch nicht, da ich schon jetzt star­ke Rücken­pro­ble­me habe. Von den anfangs 25 Aus­zu­bil­den­den in mei­nem Kurs wer­den weni­ger als zehn in der Pfle­ge blei­ben, und die meis­ten davon pla­nen nicht mit mehr als ein paar Jah­ren.
Ein eigent­lich schö­ner und anspruchs­vol­ler Beruf ist zu einer Bür­de ver­kom­men, wegen der man Bauch­schmer­zen bekommt, und sich dann nicht ein­mal krank mel­den kann, da der Kol­le­ge dann allei­ne im Dienst ist und irgend­wer aus dem „Frei“ ein­sprin­gen muss.

Wie scha­de!

Quel­le: Anonym.

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