Wird die Gesund­heits­ver­sor­gung zukünf­tig noch auf­recht zu hal­ten sein? Oder wird es einer Auto­ma­ti­sie­rung von Pro­zes­sen bedür­fen, die heut­zu­ta­ge noch immer futu­ris­tisch erscheint? Wer­den Pfle­ge­ro­bo­ter unver­zicht­ba­re Hilfs­mit­tel sein? Und was bedeu­tet das für Pfle­gen­de, zu Pfle­gen­de und die Gesell­schaft?

 

Demo­gra­fie als Damo­kles­schwert

Haben Sie älte­re Men­schen im sozia­len Umfeld, kön­nen Sie ver­mut­lich beob­ach­ten, wie die­se immer län­ger aktiv und selbst­be­stimmt leben kön­nen. Zah­len zur Bevöl­ke­rungs­ent­wick­lung bele­gen zudem etwas, was mitt­ler­wei­le jede und jeder in Deutsch­land wis­sen dürf­te: Deutsch­land wird älter. Im Jahr 2050 wird über ein Drit­tel der Deut­schen über dem heu­ti­gen gesetz­li­chen Ren­ten­ein­tritts­al­ter lie­gen. Immer weni­ger Men­schen wer­den arbei­ten.

Was beim ers­ten Hören wie die Rea­li­sie­rung eines Mensch­heits­traums klingt, wird in der Fol­ge gewal­ti­ge sozia­le Spreng­kraft ent­wi­ckeln.

Immer weni­ger Berufs­tä­ti­ge wer­den als Bei­trags­zah­ler immer mehr Alten als Leis­tungs­emp­fän­ger gegen­über­ste­hen. Ver­schiebt sich also die Alters­struk­tur der Bevöl­ke­rung, wird sich das stei­gernd auf die finan­zi­el­len Aus­ga­ben der gesetz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­rung aus­wir­ken, in der über neun von zehn Men­schen gegen gesund­heit­li­che Risi­ken ver­si­chert sind. Es zeigt sich, dass zu den stei­gen­den Aus­ga­ben auch sin­ken­de finan­zi­el­le Ein­nah­men zu ver­zeich­nen sind. Der wirt­schaft­li­che Druck, die Gesund­heits­ver­sor­gung im Hin­blick auf ihre Durch­füh­rung und ihren Umfang zu über­prü­fen, scheint omni­prä­sent und anwach­send.

Die Gesund­heits­po­li­tik der ver­gan­ge­nen Jah­re lässt sich als Bemü­hung ver­ste­hen, die Gesund­heits­ver­sor­gung in ihrer Leis­tungs­fä­hig­keit zu opti­mie­ren. Von­sei­ten der Medi­zin und der Pfle­ge wird die Arbeits­be­las­tung im Gesund­heits­we­sen als wach­send beschrie­ben. Fol­gen, die ins­be­son­de­re den Pfle­ge­be­ruf betref­fen, sind eine sin­ken­de Ver­weil­dau­er von Pfle­gen­den im Beruf und eine rapi­de abneh­men­de Attrak­ti­vi­tät für Berufs­ein­stei­ger und ‑umstei­ger. Wer in der Pfle­ge arbei­tet, sieht sich mit zuneh­men- der Arbeit kon­fron­tiert und zu- neh­mend allei­ne auf wei­ter Flur.

Ein Anstieg nega­ti­ver Medi­en- berich­te ist wahr­nehm­bar. Zu Pfle­gen­de füh­len sich dem Risi­ko einer Gesund­heits­ver­sor­gung aus­ge­setzt, die nicht ihren Bedürf­nis­sen ent­spricht.
Kön­nen Men­schen auf gute Pfle­ge ver­trau­en?

 

Pfle­ge? Ein star­kes Stück – Sozi­al­staat!

Die Aus­wir­kun­gen der demo- gra­fi­schen Ent­wick­lung auf den Pfle­ge­sek­tor schei­nen mit der Mor­bi­di­tät altern­der Men­schen zu kor­re­lie­ren. Über den Zusam­men­hang herrscht bis­wei­len offen­bar kei­ne Einig­keit. Als eines der Resul­ta­te der Aus­ein­an­der­set­zung ist aller­dings fest­zu­hal­ten, dass das Risi­ko der Pfle­ge­be­dürf­tig­keit vor allem im Alter auf­tre­te. Mit einer Alte­rung der Gesell­schaft wächst der Bedarf an Pfle­ge und somit die Rele­vanz der Pfle­ge­pro­fes­si­on.

„Pfle­ge ist ein gutes Stück Sozi­al­staat.“, bekräf­tig­te Franz Mün­te­fe­ring, ehe­ma­li­ger Lan­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter und Bun­des­mi­nis­ter für Arbeit und Sozia­les, beim Deut­schen Pfle­ge­tag 2015. Pfle­ge als Pro­fes­si­on spielt eine zen­tra­le Rol­le in der Gesund­heits­ver­sor­gung.

War Pfle­ge anfäng­lich eine sozia­le Hand­lung, getrie­ben durch Nächs­ten­lie­be und betrie­ben von christ­li­chen Glau­bens­schwes­tern, ent­wi­ckel­te sie sich seit Flo­rence Night­in­gale zu einem eigen­stän­di­gen Beruf. Die sozia­le Hand­lung des Diens­tes am Nächs­ten wur­de um den pro­fes­sio­nel­len Aspekt erwei­tert. Seit­dem gilt es, Pfle­ge selbst­stän­dig zu den­ken, zu ent­wi­ckeln, qua­li­ta­tiv zu stan­dar­di­sie­ren, um Men­schen gleich­blei­bend gute und immer bes­ser wer­den­de Pfle­ge zukom­men las­sen zu kön­nen, aber auch mit pfle­ge­ri­schen Tätig­kei­ten Geld zu ver­die­nen. Heu­te gilt Pfle­ge als Gesund­heits­dienst­leis­tung. Manch einer nennt Pati­en­ten nun Kli­en­ten, Bewoh­ner oder gar Kun­den. Wur­de Pfle­ge anfangs unter dem Ein­fluss einer eher kol­lek­ti­vis­ti­schen Idee getä­tigt, die alle Gläu­bi­gen im Sin­ne eines Geis­tes als Tei­le eines Kör­pers ersann, wird Pfle­ge heu­te, zumin­dest in Leit­bil­dern und öffent­li­chen Absichts­er­klä­run­gen, als an der Indi­vi­dua­li­tät ori­en­tier­tes Geschäfts­ver­hält­nis betrach­tet. Der hei­len­de und dem Men­schen zuge­wand­te Cha­rak­ter ist geblie­ben.

So kann man kon­sta­tie­ren, dass Pfle­ge noch immer auf mensch­li­cher Zuwen­dung fußt. Pfle­ge scheint mehr noch als eine Art mensch­li­cher Bezie­hung zu bestehen. Das sozia­le Gefü­ge des Sozi­al­staats fin­det sei­ne Grund­la­ge auf mensch­li­chem Zusam­men­halt.

 

Ver­trau­en und Ver­ant­wor­tung

Pfle­ge basiert auf fun­da­men­ta­len Bestand­tei­len mensch­li­cher Bezie­hun­gen: Kommunikat­ion und Inter­ak­ti­on, Empa­thie und Ver­trau­en. Ins­be­son­de­re das Ver­trau- en in die Gesund­heits­ver­sor­gung spielt eine ent­schei­den­de Rol­le.

Ange­sichts der Kom­ple­xi­tät medi­zi­nisch-pfle­ge­ri­scher Tätig­kei­ten fällt es Men­schen auch im Zeit­al­ter von Inter­net­such­ma­schi­nen und Betrof­fe­nen­fo­ren schwer, Ent­schei­dun­gen auf Grund­la­ge fun­dier­ter Infor­ma­tion zu fäl­len. Viel­mehr bestehen auf ver­schie­de­nen Ebe­nen Asym­me­trien zwi­schen Gesund­heits­dienst­leis­tern und zu Pfle­gen­den. Men­schen bleibt häu­fig nur, der­art wich­ti­ge Ent­schei­dun­gen über ihre Gesund­heit – und damit womög­lich über Leben und Tod – aus dem Bauch her­aus zu tref­fen. Oder aber sie ver­trau­en der Bera­tung und Behand­lung der Gesund­heits­exper­ten.

Ver­trau­en besteht nicht als Urkri­te­ri­um jeder mensch­li­chen Bezie­hung, son­dern muss auf­ge­baut und gebil­det wer­den. Die Sozi­al­psy­cho­lo­gie ent­wirft Ver­trau­ens­bil­dung als Pro­zess, des­sen ers­ter Schritt eine ver­trau­ens­vol­le Kommunikat­ion ist, die aus Empa­thie und Ver­ständ­nis erwächst. Als zwei­ter Schritt wird der Abbau von befremd­li­chen Hand­lun­gen gese­hen, der mit­tels Trans­pa­renz und Authen­ti­zi­tät erreicht wird. Ver­trau­en wird dann in einem drit­ten Schritt gezielt auf­ge­baut, in dem Erwar­tun­gen erfüllt oder über­trof­fen wer­den.
Auch die Pfle­ge­wis­sen­schaft trägt bei­spiel­haft in der Pfle­ge­theo­rie nach Peplau dem Bedarf an Ver­trau­ens­bil­dung in der Gesund­heits­ver­sor­gung Rech­nung und sieht Pfle­ge als Bezie­hungs­ent­wick­lung.

Ver­trau­en kann einer­seits als Bezie­hungs­kri­te­ri­um betrach­tet wer­den, ande­rer­seits als die Gewiss­heit beschrie­ben wer­den, dass die Gesund­heits­exper­ten im Sin­ne des Hil­fe­su­chen­den den­ken und han­deln. Gesetzt den Fall, die kri­ti­sche Situa­ti­on um die pfle­ge­ri­sche Ver­sor­gung ver­schärft sich durch die demo­gra­fi­sche Ent­wick­lung, könn­ten Pfle­gen­de in der Ver­ant­wor­tung sein, ent­las­ten­de oder gar erset­zen­de Instru­men­te zu akzep­tie­ren oder sogar zu for­dern. Aber ist Pfle­ge über­haupt ersetz­bar?

 

Ist Pfle­ge durch Robo­ter ersetz­bar?

Die Robo­ter­for­schung ver­zeich­net rasan­te Fort­schrit­te. Die Ent­wick­lung von Robo­ter­tech­nik trumpft damit auf, dass Robo­ter ihre „Umwelt wahr­neh­men, Bewe­gun­gen pla­nen und die­se in moto­ri­sche Akti­vi­tä­ten umset­zen“. Robo­ter beherr­schen „etli­che Auf­ga­ben bereits in Echt­zeit“. Der Care-o-Bot scheint in Tests als Ser­vice­hil­fe zu über­zeu­gen, ande­re Art­ge­nos­sen wer­den mit posi­ti­vem Ergeb­nis als effi­zi­en­te Hebe‑, Lage­rungs- oder Posi­tio­nie­rungs­hil­fen getes­tet.

Die Kommunikat­ion von Mensch und Robo­ter mit­tels All­tags­spra­che und Ges­tik erweist sich bis­lang noch als pro­ble­ma­tisch. Denn für die täg­li­che Ein­satz­fä­hig­keit müs­sen Robo­ter in der Lage sein, All­tags­dia­lo­ge zu ver­ste­hen, zu inter­pre­tie­ren, logi­sche Schluss­fol­ge­run­gen zu zie­hen und auf Grund­la­ge einer Ana­ly­se von Stimm­klang und ‑into­na­ti­on den Zustand des zu Pfle­gen­den zu ermit­teln.

Knack­punk­te sind also eben jene Berei­che, die Pfle­ge als Stär­ken begrün­den und ihre Arbeit unent­behr­lich machen: Pfle­ge ist eine per­sön­li­che, hoch indi­vi­dua­li­sier­te, inter­ak­ti­ons­ori­en­tier­te, zeit­raum­be­zo­ge­ne, imma­te­ri­el­le Tätig­keit. Sie gilt als arbeits- und fähig­keits­in­ten­siv.
Auf­grund die­ser Eigen­schaf­ten wird Pfle­ge als Tätig­keit mit beschränk­ter Sub­sti­tu­tio­na­li­tät beschrie­ben, die kaum Ersatz­bar­keit durch Maschi­nen ermög­licht. Zu die­sem Ergeb­nis kommt auch die viel beach­te­te Frey­/Os­bor­ne-Stu­die, die Pfle­ge zu den heu­ris­ti­schen Tätig­kei­ten zählt, die nicht durch Robo­tik ersetzt wer­den kön­nen.

Auf abseh­ba­re Zeit erscheint der Ein­satz von Robo­tern für die Durch­füh­rung von Hilfs- und Ser­vice­leis­tun­gen durch­aus denk­bar, wäh­rend pfle­ge­ri­sche Kern­pro­zes­se bei den Pfle­gen­den aus Fleisch und Blut blie­be.

 

Wenn der Wind der Ver­än­de­rung weht, bau­en die einen Mau­ern, die ande­ren Wind­müh­len

Pfle­gen­de schei­nen eine nicht ersetz­ba­re Arbeit zu leis­ten. In Anbe­tracht ihrer Posi­ti­on und der auf­kom­men­den Her­aus­for­de­run­gen ist die Pfle­ge­pro­fes­si­on gefor­dert. Sie muss, im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes, selbst­be­wusst Stel­lung bezie­hen und die gesell­schaft­li­chen und tech­no­lo­gi­schen Ver­än­de­run­gen gestal­tend beglei­ten.

Pfle­gen­de sind auf­ge­for­dert, pfle­ge­ri­sche Kern­pro­zes­se zu defi­nie­ren, um den eige­nen Wir­kungs­grad im Sin­ne des zu Pfle­gen­den abzu­ste­cken. Pfle­gen­de könn­ten bei der Ent­wick­lung neu­er Beru­fe mit­wir­ken. Die Schnitt­stel­le zwi­schen Pfle­ge, Mecha­tro­nik und Infor­ma­tik erscheint hier­bei span­nend. Aber Pfle­gen­de sind auch auf­ge­for­dert, zu Pfle­gen­de auf ihrem Weg der Eman­zi­pa­ti­on zu beglei­ten. Denn nur dort, wo Indi­vi­dua­li­tät gewahrt wird, jeder Mensch indi­vi­du­ell gepflegt wird, wird gut gepflegt!

For­schung und Ent­wick­lung wer­den nicht Halt machen und das Leben der Men­schen spür­bar ver­än­dern. Die Tech­ni­sie­rung erfasst die Pfle­ge bereits seit eini­gen Jah­ren in den Arbeits­be­rei­chen der Dia­gnos­tik, der Doku­men­ta­ti­on, der Kommunikat­ion und der Pati­en­ten­ver­wal­tung. Ist Pfle­ge heu­te nicht ersetz­bar, kann das zum Ende die­ses Jahr­hun­derts anders sein. Soll­ten zu Pfle­gen­de nicht mehr dar­auf ver­trau­en kön­nen, von Pfle­gen­den in aus­rei­chen­der Zahl ver­sorgt zu wer­den, bie­ten Pfle­ge­ro­bo­ter viel­leicht lang­fris­tig eine Mög­lich­keit, das Ver­trau­en in die Gesund­heits­ver­sor­gung zu erhal­ten oder zu stär­ken.

Man könn­te mei­nen, mit einer Tech­ni­sie­rung sei die kom­ple­xe Pro­ble­ma­tik gelöst. Die Kom­ple­xi­tät der Pro­ble­ma­tik wird aller­dings um ethi­sche, aber auch finan­zi­el­le Fra­gen ver­grö­ßert: Wie ver­än­dert sich das Tätig­keits­feld von Pfle­gen­den? Wel­cher Men­schen­ty­pus wird für die Pfle­ge gefragt sein? Wie ist die Sicher­heit in Zei­ten von wach­sen­der Cyber­kri­mi­na­li­tät zu wah­ren? Zah­len Robo­ter Sozi­al­bei­trä­ge oder wie wer­den bei­trags­fi­nan­zier­te Sozi­al­leis­tun­gen finan­ziert, wenn Arbeit auto­ma­ti­siert ist? Und wie könn­te die Robo­ter­ren­di­te ver­teilt wer­den?

 

Der Text ist auch im Blog des Autors ver­füg­bar.
Link zum Blog des Autors
Er ist dar­über hin­aus am 19.07.2015 im Life­sty­le­ma­ga­zin für Pfle­ge­be­ru­fe „Leben­lang“ erschie­nen.
Link zum Arti­kel auf der „Lebenlang“-Webseite
Das Bei­trags­bild wur­de dem Ori­gi­nal­text ent­nom­men.
Link zur Web­sei­te des Urhe­bers

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