Viel zu wenig Per­so­nal, zu nied­ri­ge Löh­ne und kaum Zeit für die Bewoh­ner: Die Pro­ble­me in Deutsch­lands Pfle­ge­hei­men spit­zen sich immer wei­ter zu. In Nie­der­sach­sen gibt es nun Pro­test.

Etwa 30 Frau­en und Män­ner lie­gen mit­ten in der Osna­brü­cker Fuß­gän­ger­zo­ne. Zehn Minu­ten lang. Auf Iso-Mat­ten und Decken, umge­ben von Trans­pa­ren­ten, Papp­schil­dern und Info-Mate­ri­al. “Pfle­ge am Boden” ist das Mot­to der Pro­test­ak­ti­on. Jeden zwei­ten Sonn­abend im Monat demons­trie­ren Pfle­ger und Pfle­ge­rin­nen für bes­se­re Arbeits­be­din­gun­gen und eine men­schen­wür­di­ge Pfle­ge. Nicht nur in Osna­brück, son­dern in mehr als 100 Städ­ten bun­des­weit. Von Wil­helms­ha­ven über Köln bis nach Mün­chen. Einer der Orga­ni­sa­to­ren und Initia­to­ren ist Micha­el Thom­sen vom Run­den Tisch Pfle­ge in Osna­brück. Vie­le Jah­re arbei­te­te er als Alten­pfle­ger und Pfle­ge­dienst­lei­ter, nun bil­det er unter ande­rem den Nach­wuchs aus. So kann es nicht wei­ter­ge­hen, sagt der 57 Jah­re alte Pfle­ge­ex­per­te. Es sei min­des­tens fünf nach zwölf:

“Jetzt ist soweit gesun­ken alles, dass wir auf die Soli­da­ri­tät ande­rer ange­wie­sen sind. Das ist der Grund, war­um wir auf der Stra­ße lie­gen. Wir appel­lie­ren an die Leu­te, die sel­ber pfle­ge­be­dürf­tig wer­den kön­nen, es viel­leicht schon mal waren und denen da eini­ges droht.”

Jeder kann mit­ma­chen bei die­sem Flash­mob. Doch nur weni­ge Pas­san­ten blei­ben ste­hen. Die meis­ten eilen wei­ter.

“Es ist ein The­ma, das berührt nie­man­den wirk­lich. Weil – es ist weit weg. Man ist gesund und erst wenn man direkt betrof­fen ist, dann kommt das Erwa­chen.”

Im Her­mann-Bon­nus-Haus, einem Alten­pfle­ge­heim des Dia­ko­nie­werks Osna­brück. Ein moder­nes Gebäu­de mit hel­len, freund­li­chen Räu­men für rund 100 Senio­ren. Umge­ben von alten Bäu­men am Stadt­rand von  Osna­brück. Es ist kurz nach 21 Uhr, die Nacht­schicht hat gera­de ange­fan­gen. Die nächs­ten zehn Stun­den ist Tim Kal­lert allein ver­ant­wort­lich für 48 Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner.

Die meis­ten sind über 80 Jah­re alt und schwer krank. Ein Schlag­an­fall, Krebs, Par­kin­son, Dia­be­tes. Oft kommt noch eine aus­ge­präg­te Demenz dazu. Zwei Rund­gän­ge macht der 24 Jah­re alte Alten­pfle­ger jede Nacht. Von Zim­mer zu Zim­mer.

“Das ist die Intim­hy­gie­ne, die man nachts durch­führt. Das Dre­hen immer, das stän­di­ge. Und alles in einer mög­lichst schnel­len Zeit.”

Das heißt: etwa drei bis vier Minu­ten für jeden. Manch­mal sogar noch weni­ger. Auf sei­nem Roll­wa­gen hat Tim Kal­lert fast alles, was er braucht. Ein­mal-Hand­schu­he, Vor­la­gen, also Win­deln, Tücher, Des­in­fek­ti­ons­mit­tel. Den Pie­per hat er auch immer mit dabei. So ist er stän­dig erreich­bar. Schon sei­ne Aus­bil­dung mach­te der enga­gier­te Pfle­ger im Her­mann-Bon­nus-Haus. Inzwi­schen hat er viel Berufs­er­fah­rung  gesam­melt. Den­noch: Gera­de nachts ist der psy­chi­sche Druck beson­ders groß:

“Auf Grund die­ser Rhyth­mus­um­stel­lung und dann so kon­zen­triert zu blei­ben. even­tu­ell einen Herz­in­farkt zu erken­nen und gege­be­nen­falls schnell zu han­deln. Es gibt öfter mal Not­fäl­le und man ist halt allein.”

Nur ein Kol­le­ge ist noch mit im Haus. Ein Stock­werk über ihm. Und der hat, wie Tim Kal­lert auch, alle Hän­de voll zu tun.

So man­ches Mal reißt Tim Kal­lert jeman­den aus dem Tief­schlaf. Anders ist das Pen­sum nicht zu schaf­fen. Man merkt ihm die Rou­ti­ne an. Jeder Hand­griff sitzt.

Rich­tig zu Hau­se fühlt sich Eve­lyn Hugen­berg nicht

Maria lebt im soge­nann­ten geschütz­ten Bereich zusam­men mit ande­ren schwer an Demenz Erkrank­ten. Vie­le von ihnen sind unru­hig, wan­dern nachts hin und her. Tho­mas zum Bei­spiel, ein paar Türen wei­ter. Er hat es sich in einem Ses­sel gemüt­lich gemacht. Neben dem Bett sei­ner Nach­ba­rin. Die­ses Mal hat er sie nicht erschreckt. Nur geweckt.

Kurz vor vier Uhr mor­gens ist es inzwi­schen. Bis­her kei­ne beson­de­ren Vor­komm­nis­se. Und in die­ser Nacht bleibt es auch so.

“Aber es braucht nur eine Klei­nig­keit dazwi­schen zu kom­men, es stürzt jemand oder es muss jemand in’s Kran­ken­haus, dann ist man die gan­ze Nacht nur noch am rum­ren­nen.”

Team­be­spre­chung. Wie jeden Tag zu Beginn der Früh­schicht. Mit am Tisch sitzt auch Andrea Bein­lich. Sie hat ein freund­li­ches, offe­nes Gesicht und sieht aus, als wenn sie nichts so schnell aus der Ruhe brin­gen kann. Mehr als 30 Jah­re ist sie schon Alten­pfle­ge­rin.

“Es ist ein wun­der­schö­ner Beruf, trotz der vie­len, schwe­ren Arbeit. Man kriegt so viel zurück von den Bewoh­nern. So viel Lie­be, Herz­lich­keit und Dank­bar­keit. Es ist eben scha­de für die Bewoh­ner, dass man so viel zu tun hat.”

Gemein­sam mit einem jun­gen Kol­le­gen betreut Andrea Bein­lich an die­sem Mor­gen 14 Bewoh­ner. Wecken, waschen, anzie­hen, Früh­stück zube­rei­ten.

Eve­lyn Hugen­berg ist noch sehr rüs­tig, kann noch viel allei­ne machen. Sie möch­te erst ein­mal duschen.

Andrea Bein­lich ver­sucht, das Bes­te aus dem durch­ge­tak­te­ten Pfle­ge-All­tag zu machen. Sie hat gelernt, meh­re­re Din­ge gleich­zei­tig zu tun. Waschen, Medi­ka­men­te ver­ab­rei­chen, die Infu­si­ons­na­del über­prü­fen und: zuhö­ren. Ein­fach da sein. Wenn auch nur für ein paar Minu­ten.

Wie­der zurück im Zim­mer von Eve­lyn Hugen­berg. Die 82-Jäh­ri­ge braucht nach dem Duschen Hil­fe beim Anzie­hen. Es klappt nicht mehr so gut mit der Fein­mo­to­rik nach einer Schul­ter-OP.

Das Zim­mer ist nicht groß, aber gemüt­lich ein­ge­rich­tet. Orchi­deen vor den boden­tie­fen Fens­tern, Bücher, CDs, vie­le Pho­tos von der Fami­lie. Gut drei Jah­re lebt Eve­lyn Hugen­berg im Her­mann-Bon­nus-Haus. Rich­tig zuhau­se fühlt sie sich nicht.

“Wenn das man abstreicht, ist es in Ord­nung. Auch der Umgangs­ton ist nett. Das Per­so­nal – sie ste­hen unter Druck. Sie bemü­hen sich und tun alles, damit wir das gar nicht so mer­ken. Aber es ist zu mer­ken. Ich weiß ja, als ich in die Pfle­ge­stu­fe klas­si­fi­ziert wur­de, dass die mich befragt haben und was die notiert haben. Haa­re käm­men, ein oder zwei Minu­ten, duschen, ein­cre­men – da soll man in so und so vie­len Minu­ten fer­tig sein. Das kann nie­mand schaf­fen.”

Immer mehr schwe­re und schwers­te Pfle­ge­fäl­le

Andrea Bein­lich muss schon wie­der wei­ter. Die ers­ten Bewoh­ner war­ten auf ihr Früh­stück. Das Essen wird von der Haus­wirt­schafts­ab­tei­lung ange­lie­fert. Eigent­lich könn­te man in der Wohn­kü­che auch gemein­sam kochen. So war das auch ein­mal gedacht, vor fast 20 Jah­ren, als das Haus gebaut wur­de. Des­halb gibt es auch kei­nen Spei­se­saal und kei­ne lan­gen Flu­re. Zwar leben die Bewoh­ner nach wie vor in Grup­pen, doch vom ursprüng­li­chen Kon­zept einer ganz­heit­li­chen, akti­vie­ren­den Pfle­ge ist man im All­tag weit ent­fernt.

Andrea Bein­lich: “Zu dem Zeit­punkt, wo ich ange­fan­gen bin, war es ja noch so, dass wir die Betreu­ung und Beschäf­ti­gung der Bewoh­ner sel­ber mit­mach­ten. Das ver­mis­se ich schon, weil es in der Pfle­ge heu­te nur noch dar­um geht, die Leu­te satt und sau­ber zu haben. Das hört sich zwar bru­tal an, aber das ist so. Man konn­te mit den Leu­ten sin­gen, spa­zie­ren gehen, in die Stadt fah­ren – das ist ja heu­te im Pfle­ge-Ren­nen gar nicht mehr mög­lich.”

Ganz ist die per­sön­li­che Betreu­ung jedoch nicht auf der Stre­cke geblie­ben. Dafür sind heu­te aber nur noch, nach einer kur­zen Aus­bil­dung, Betreu­ungs­kräf­te nach § 87 b, die soge­nann­ten All­tags­be­glei­ter, zustän­dig. Und noch etwas war frü­her anders, erin­nert sich Alten­pfle­ge­rin Hei­ke Rit­zer: Es gab nicht so vie­le schwer­kran­ke Bewoh­ner wie heu­te.

“Wir hat­ten wesent­lich weni­ger Pfle­ge­stu­fe 2 und 3 und dadurch auch mehr Zeit und Mög­lich­kei­ten. Die Bewoh­ner waren eigen­stän­di­ger und  hat­ten auch mehr eige­ne Ver­ant­wor­tung. Sie kamen  hier­hin zum Leben und nicht zum Ster­ben.”

Immer mehr schwe­re und schwers­te Pfle­ge­fäl­le, das bedeu­tet noch mehr Belas­tung für das Per­so­nal.

“Ich kom­me nach Hau­se, ich bin schon platt, erschöpft. Ich kann nicht ins Bett gehen, muss mich um mei­ne Toch­ter küm­mern, ein­kau­fen, Essen kochen. Und wenn man dann zehn Tage hat am Stück oder zwölf, dann geht oft nix mehr. Dann macht es auch kei­nen Unter­schied, ob man 45 ist oder 25. Dann ist man kaputt.”

“Es ist ein hoher Preis”

Das Her­mann-Bon­nus-Haus hat einen guten Ruf. Der Fach­kräf­te-Anteil ist über­durch­schnitt­lich hoch, die Mit­ar­bei­ter-Fluk­tua­ti­on hält sich in Gren­zen. Und die Atmo­sphä­re im Team ist auch gut. Trotz­dem: Was Arbeits­be­las­tung und Arbeits­ver­dich­tung angeht, unter­schei­det sich das Haus nicht wesent­lich von ande­ren Alten­hei­men. Auch hier gibt es zum Bei­spiel fast nur Teil­zeit­stel­len. Nicht weil alle Mit­ar­bei­ter es sich so wün­schen. Unter den bestehen­den Rah­men­be­din­gun­gen ist es anders kaum mög­lich, einen Dienst­plan zu erstel­len. Annet­te Mül­ler, Mit­ar­bei­ter­ver­tre­te­rin des Dia­ko­nie­werks Osna­brück:

“Es wird aber ver­langt, dass die Kol­le­gin­nen auf Abruf parat ste­hen. Ein siche­rer Dienst­plan ist nicht immer gewähr­leis­tet durch die hohe Krank­heits­quo­te. Es gibt kei­ne Per­so­nal­de­cke. In dem Moment, wo jemand aus­fällt, muss jemand ein­sprin­gen. Und das führt dazu, dass Leu­te in ihrer Frei­zeit, die sie zu ihrer Rege­ne­ra­ti­on brau­chen, gar nicht mehr abschal­ten kön­nen, son­dern stän­dig im Hin­ter­kopf haben, klin­gelt das Tele­fon, muss ich heu­te nicht doch arbei­ten? Vie­le Kol­le­gen haben einen hohen mora­li­schen Anspruch an sich sel­ber. Papier im Büro lässt man lie­gen, aber mit Men­schen geht man nicht so um. Und das ist auch etwas, was die Pfle­ge so ohn­mäch­tig macht. Weil – wie sol­len Pfle­ge­kräf­te sich rich­tig weh­ren?”

Hin­zu kommt der gerin­ge Lohn. Mit einer Teil­zeit­stel­le von 30 Stun­den ver­dient man knapp 1.300 Euro net­to. Ein Neben­job lässt sich mit Schicht­ar­beit nur schwer ver­ein­ba­ren, statt­des­sen sam­meln sich Über­stun­den an. Pfle­ge­dienst­lei­ter Eck­hard Mönke­hof kennt die Pro­ble­me sei­ner Mit­ar­bei­ter. Er weiß, was er sei­nem Team abver­langt:

“Es ist ein hoher Preis. Vie­le Mit­ar­bei­ter wer­den auch aus­ge­nutzt dadurch.”

Er weiß aber auch, dass er auf ein enga­gier­tes, hoch­mo­ti­vier­tes Team ange­wie­sen ist.

“Wenn man nur sei­nen Job macht, unter die­sen Bedin­gun­gen, dann ist es kei­ne gute Pfle­ge mehr.”

Der Pfle­ge­dienst­lei­ter wählt sei­ne Wor­te mit Bedacht. Doch man spürt, wie sehr ihn die Situa­ti­on belas­tet:

“Es kann ganz schnell kip­pen. Dass eben Bewoh­ner unru­hig wer­den, Mit­ar­bei­ter unru­hig wer­den. Durch die­sen Zeit­man­gel auch schnell die Ner­ven ver­lie­ren und dann pas­sie­ren Din­ge, die nicht pas­sie­ren soll­ten. Sprich, dass irgend­ein Mit­ar­bei­ter es nicht mehr hin­kriegt, einem Bewoh­ner das Essen zu rei­chen. In der Regel pas­siert das nicht. Aber ich weiß auf der ande­ren Sei­te auch von der Rea­li­tät her, dass das durch­aus vor­stell­bar ist. Und das ist natür­lich schreck­lich.”

Tag für Tag muss er den Spa­gat bewäl­ti­gen zwi­schen men­schen­wür­di­ger Pfle­ge und immer stär­ker wer­den­den öko­no­mi­schen Zwän­gen. Unter ande­rem auch, weil sich die Anzahl der Pfle­ge­kräf­te nach der Höhe der Pfle­ge­stu­fen der Bewoh­ner rich­tet.

“Es ist eine ganz schreck­li­che Sache, dass man, wenn ein Bewoh­ner in Pfle­ge­stu­fe 3 ver­stirbt, im Hin­ter­kopf haben muss, da muss auch wie­der jemand in Pfle­ge­stu­fe 3 ein­zie­hen. Weil mit nied­ri­gen Pfle­ge­stu­fen wür­de ich in Berei­che kom­men, wo ich das Mit­ar­bei­tern und Bewoh­nern nicht mehr zumu­ten möch­te.”

In Städ­ten wie Osna­brück spürt man die Fol­gen beson­ders stark

Noch lebt nur jeder Drit­te der schät­zungs­wei­se knapp 2,5 Mil­lio­nen Pfle­ge­be­dürf­ti­gen bun­des­weit in einem Senio­ren­heim. Doch das wird sich bald ändern. Die Deut­schen wer­den immer älter und mit dem Alter steigt das Risi­ko, ein Pfle­ge­fall zu wer­den. In Nie­der­sach­sen etwa soll die Zahl der Pfle­ge­dürf­ti­gen vor­aus­sicht­lich von rund 275.000 auf knapp 370.000 im Jahr 2030 stei­gen. Wenn sich nichts ändert, wer­den dann allein in Nie­der­sach­sen rund 50.000 Pfle­ge­fach­kräf­te feh­len.

Schon jetzt ist der Fach­kräf­te­man­gel bun­des­weit groß. Vie­le Pfle­ger hal­ten es nur weni­ge Jah­re in ihrem Beruf aus. In Nie­der­sach­sen ist die Situa­ti­on beson­ders ange­spannt. Das Bun­des­land nimmt seit Jah­ren bei den Pfle­ge­sät­zen den letz­ten Platz unter den alten Bun­des­län­dern ein. Das heißt, in Nie­der­sach­sen sind die Löh­ne deut­lich nied­ri­ger als etwa in Nord­rhein-West­fa­len. Hin­zu kommt: Nie­der­sach­sen hat nach Schles­wig-Hol­stein den höchs­ten Anteil an pri­va­ten Anbie­tern. Und die zah­len oft kei­ne Tarif­löh­ne. In Städ­ten an der Gren­ze zu Nord­rhein-West­fa­len – wie Osna­brück – spürt man die Fol­gen beson­ders stark, so Pfle­ge-Exper­te Micha­el Thom­sen.

“Wenn ein pri­va­ter Anbie­ter in der Regi­on Osna­brück mit 20 Pro­zent gerin­ge­ren Lohn­kos­ten schon arbei­ten kann gegen­über der eige­nen Kon­kur­renz in Nie­der­sach­sen, und dann noch mal, was die Pfle­ge­sät­ze in NRW betrifft, etwa 20 Pro­zent nied­ri­ger anbie­ten kann, dann ist klar, dass der Kun­de, sprich der Ange­hö­ri­ge, der sei­nen demen­ten Vater ins Heim unter­ge­bracht wis­sen will, den nied­ri­gen Anbie­ter nimmt. Weil für ihn als Laie da kein gro­ßer Unter­schied erkenn­bar ist. Und das führt natür­lich dazu, dass die Pfle­ge­sät­ze auch in den Ver­hand­lun­gen immer wei­ter nach unten absa­cken.”

Skep­tisch gegen­über der ange­kün­dig­ten Pfle­ge­re­form

Zurück zur Pro­test­ak­ti­on “Pfle­ge am Boden” in der Osna­brü­cker Innen­stadt. Car­men und Chris­ti­an arbei­ten in einer pri­vat geführ­ten Senio­ren­re­si­denz im Land­kreis Osna­brück. Das Haus wirbt sogar mit dem Wett­be­werbs­vor­teil Nie­der­sach­sen, sagen die bei­den. Chris­ti­an hat auch schon mal für einen kirch­li­chen Trä­ger gear­bei­tet. Die Arbeits­be­las­tung und der psy­chi­sche Druck sei­en bei einem pri­va­ten Trä­ger grö­ßer:

“Wenn man sich Zeit nimmt, mehr Zeit als einem zusteht für die Pfle­ge, dann bekom­men wir nach­her im Anschluss einen auf den Deckel. War­um wart ihr so lan­ge da drin? Das müs­sen wir begrün­den. Manch­mal ist das nicht mög­lich. Weil es gibt Tage, da sind man­che Men­schen ein biss­chen, naja, bedürf­ti­ger, und dann gibt es Tage, da geht das auch ein biss­chen schnel­ler.”

Car­men ist Wohn­be­reichs­lei­te­rin. Fast jeden Tag ist sie beim Chef, setzt sich für Mit­ar­bei­ter und Bewoh­ner ein.

“Und wenn ich dann sage, mei­ne Mit­ar­bei­ter sind am Limit, heißt es, die wären nicht mehr belast­bar, die wären über­for­dert. Sicher­lich muss man auch die Posi­ti­on ver­ste­hen von den Chefs, die krie­gen von ihren Geschäfts­füh­rern Druck, aber die Qua­li­tät lässt unheim­lich nach.”

Chris­ti­an: “Dass Wirt­schaft­lich­keit vor Mensch­lich­keit geht, das ist für die meis­ten erschre­ckend. Dass so viel gespart wer­den muss am fal­schen Ende, das ist ein­fach unmensch­lich. Und dann kommt die Büro­kra­tie dazu, das Gan­ze, was man schrei­ben muss.”

Vol­ker Bajus: “Wir haben viel zu sehr auf die Kos­ten geach­tet als Poli­tik, zu wenig auf die Qua­li­tät, auf allen Sei­ten…”

Immer wie­der betei­li­gen sich auch Poli­ti­ker beim Flash­mob. Wie zum Bei­spiel Vol­ker Bajus, Abge­ord­ne­ter der Grü­nen im Nie­der­säch­si­schen Land­tag.

“Ich ken­ne vie­le Leu­te, die in dem Beruf tätig sind. Wir haben poli­ti­scher­seits noch ’ne Men­ge zu tun. Aber die Leu­te müs­sen auch sel­ber ihre Inter­es­sen in die Hand neh­men und das tun sie gera­de. Inso­fern fin­de ich das eine sinn­vol­le Akti­on.”

Es hat sehr lan­ge gedau­ert, bis die Pfle­ger ange­fan­gen haben, für ihre Inter­es­sen, und damit auch für die der Bewoh­ner der Alten­hei­me, ein­zu­tre­ten. Ist das The­ma Pfle­ge aber nun end­lich auch in der Poli­tik ange­kom­men? Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Her­mann Grö­he jeden­falls hat eine groß ange­leg­te Pfle­ge­re­form ange­kün­digt. Mit einem neu­en Begut­ach­tungs­mo­dell, mehr Geld für Betreu­ungs­kräf­te und mehr Unter­stüt­zung für pfle­gen­de Ange­hö­ri­ge. Alten­pfle­ger wie Tim Kal­lert sind da aller­dings skep­tisch:

“Herr Rös­ler, der hat­te ja damals auch als Gesund­heits­mi­nis­ter groß­ar­tig das Jahr der Pfle­ge aus­ge­ru­fen. Im End­ef­fekt ist davon hier nichts ange­kom­men. Ich war­te erst mal ab und hof­fe, dass sich das mit der Reform bes­sert.”

“Es müs­sen viel mehr die Ange­hö­ri­gen auf die Stra­ße geholt wer­den”

Seit einem Jahr arbei­tet Tim Kal­lert nur noch nachts. Tags­über stu­diert er Pfle­ge-Manage­ment.

“Wenn die Rah­men­be­din­gun­gen sich ver­bes­sern wür­den, wür­de ich immer in der Pfle­ge blei­ben. Weil mir das Spaß macht. Aber solan­ge die so sind wie sie sind, sehe ich, dass ich mich schnellst mög­lich wei­ter qua­li­fi­zie­re.”

Im Grun­de sind sich alle einig. Deutsch­land braucht eine umfas­sen­de Pfle­ge­re­form. Doch fai­re Löh­ne und men­schen­wür­di­ge Pfle­ge sind ohne Anhe­bung der Pfle­ge­sät­ze nicht mög­lich. Und das kos­tet Geld. So eine umfas­sen­de Reform wird also nicht von heu­te auf mor­gen gesche­hen. Davon geht auch Micha­el Thom­sen vom Run­den Tisch Pfle­ge in Osna­brück aus. Es sei noch viel Über­zeu­gungs­ar­beit not­wen­dig.

“Vie­le wis­sen nicht, was mit den Geset­zes­vor­ha­ben für Fol­gen kom­men. Wir hat­ten die Dis­kus­si­on mit Schle­cker­frau­en, Arbeits­lo­sen in die Pfle­ge. Das zeigt eigent­lich, dass die Leu­te nicht wis­sen, dass es von einer exami­nier­ten Fach­kraft ’ne hoch qua­li­fi­zier­te Arbeit ist. Es geis­tert in den Köp­fen immer noch der Spruch ‘Pfle­gen kann jeder!’ ”

Am Mon­tag, am Inter­na­tio­na­len Tag der Pfle­ge, ruft die Dia­ko­nie Deutsch­land zu einem bun­des­wei­ten Akti­ons­tag auf. Auch zahl­rei­che Mit­ar­bei­ter des Her­mann-Bon­nus-Hau­ses, unter ihnen Andrea Bein­lich, wol­len sich dar­an betei­li­gen und sich mit ihren For­de­run­gen an den Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter wen­den.

“Was ich auch fin­de, dass viel mehr die Ange­hö­ri­gen der Bewoh­ner, das ist die Lob­by ihrer Eltern, die müss­ten mehr auf die Stra­ße geholt wer­den. Und die müss­ten dafür ein­ste­hen, das es ihren Leu­ten, die sie im Alten­heim haben, bes­ser geht. Das fän­de ich noch viel wich­ti­ger. Dass man es zusam­men macht.

Zitiert von: http://www.deutschlandradiokultur.de

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