Elektronische Patientenakte: Zwischenbilanz nach sechs Monaten – Warum die Digitalisierung des Gesundheitswesens stockt
Hohe Erwartungen, ernüchternde Realität
Als die elektronische Patientenakte (ePA) im Frühjahr 2025 bundesweit in den Praxistest startete, waren die Erwartungen groß. Versicherte sollten ortsunabhängig auf Befunde, Laborwerte, Impfungen und Medikationslisten zugreifen. Hausärzte, Fachärzte, Kliniken und Apotheken sollten Informationen schneller austauschen.
Ein halbes Jahr später fällt die erste Bilanz jedoch ernüchternd aus. Viele Praxen berichten von technischen Problemen, und sowohl Patientinnen und Patienten als auch Ärztinnen und Ärzte nutzen die ePA nur selten. Von echter intersektoraler Vernetzung bleibt Deutschland weit entfernt.
Kritik aus der Praxis und Politik
In allgemeinärztlichen Praxen werden Zugriffe auf die ePA meist nur vereinzelt gezählt. Dr. Markus Beier, Co-Bundesvorsitzender des Hausärzteverbands, sagte in der Rheinischen Post: Bleibe das Tempo niedrig und die Praxistauglichkeit schwach, drohe dem Projekt eine „Bruchlandung“.
Auch die Politik zeigt sich besorgt. Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen warnte in der Augsburger Allgemeinen, dass die Verzögerungen beim Roll-out im schlimmsten Fall Leben kosten. Er betont: Von den rund 74 Millionen angelegten ePA-Konten sind weniger als drei Prozent aktiv. Ursache sei nicht fehlende Akzeptanz, sondern fehlende Inhalte. Eine leere Akte ohne Laborwerte, Arztbriefe oder Impfpass bringe keinen Nutzen.
Sicherheit und Vertrauen im Fokus
Beim Hauptstadtkongress in Berlin zogen Fachleute ein erstes Zwischenfazit. Bianca Kastl vom Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit stellte fest: Die IT-Sicherheit habe sich nach den Warnungen des Chaos Computer Clubs Ende 2024 verbessert. Gleichzeitig fordert sie mehr Transparenz und schnellere Reaktionszeiten. „Die Arztpraxis darf nicht die erste Verteidigungslinie der Datensicherheit sein“, mahnt Kastl. Vertrauen entstehe nur, wenn Verantwortlichkeiten klar geregelt sind und Fehler zügig behoben werden.
Fortschritte und internationale Vergleiche
Gematik-Chef Dr. Florian Fuhrmann verweist auf Fortschritte: Hunderte Datenschutz-Tickets seien bearbeitet, in einer Woche habe es mehrere Dutzend Millionen Zugriffe gegeben. Rund 50.000 Krankenhäuser, Praxen und Apotheken greifen bereits zu. Dennoch warnt er: Bis zur Befüllungs-Deadline am 30. September müsse die ePA mit Inhalten gefüllt werden.
Einen Blick nach Österreich liefert Sebastian Mörth von AmCham Austria: Dort liegt die Opt-Out-Quote bei unter drei Prozent. Trotzdem stößt auch die österreichische Akte auf Widerstände. Mörth warnt: Ohne klare Regeln und Tempo droht auch Deutschland in einem „PDF-Datenfriedhof“ zu enden.
Chancen und notwendige Verbesserungen
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sieht die ePA trotz aller Probleme als Chance. Vorstandsmitglied Dr. Sybille Steiner betont, dass die ambulante Versorgung bei E-Rezept und digitaler Krankschreibung bereits weit sei. Entscheidend bleibe, dass Krankenhäuser und Praxen sektorenübergreifend zusammenarbeiten. Erst wenn Entlassbriefe elektronisch übermittelt werden und alle Beteiligten aktuelle Daten sehen, entstehe ein echter Mehrwert.
Weitere Vorschläge:
- digitale Medikationsliste,
- Volltextsuche,
- Nutzung bei Videosprechstunden.
Diese Funktionen könnten das System attraktiver machen und die Akzeptanz steigern.
Fazit – Nachbessern statt Kapitulieren
Die elektronische Patientenakte zeigt exemplarisch die Probleme der deutschen Digitalisierung: viel versprochen, wenig umgesetzt. Doch die Zwischenbilanz ist kein Endpunkt. Jetzt braucht es:
- eine nutzerfreundliche Registrierung,
- stabile Technik,
- reichhaltige Inhalte,
- Schulungen für Ärzte und Patienten.
Arbeiten Politik, Selbstverwaltung und IT-Anbieter zusammen, kann die ePA noch das werden, was sie sein soll: eine zentrale, sichere Drehscheibe für Gesundheitsdaten, die die Versorgung in Deutschland nachhaltig verbessert.
Mehr zu Digitalisierung in der Pflege finden Sie hier.
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