Zeitarbeit in der Pflege – Vorteile und mögliche Nachteile im Überblick: Hintergründe, Praxisbeispiele & Lösungen
Einführung
Der Fachkräftemangel in der Pflege ist eines der größten Probleme des deutschen Gesundheitswesens. Viele Einrichtungen kämpfen mit Unterbesetzung, steigender Arbeitsbelastung und wachsender Unzufriedenheit im Team.
Eine der Reaktionen auf diese Krise ist die Zeitarbeit in der Pflege – ein Modell, das in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen hat.
Doch die Diskussion ist gespalten: Während Pflegekräfte in der Zeitarbeit häufig von besserer Bezahlung, mehr Freizeit und Mitspracherecht berichten, kritisieren viele Kliniken und Heime steigende Kosten und organisatorische Herausforderungen.
Dieser Artikel beleuchtet Chancen und Risiken der Zeitarbeit im Pflegebereich, stellt Praxisbeispiele vor und zeigt, welche Lösungen möglich sind, um das System langfristig zu stabilisieren.
Aktuelle Entwicklung der Zeitarbeit in der Pflege
Noch vor zehn Jahren war Zeitarbeit in der Pflege die Ausnahme – heute ist sie vielerorts fester Bestandteil des Personaleinsatzes.
Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) arbeiten mittlerweile rund 4–6 % aller Pflegekräfte in einem Zeitarbeitsverhältnis. In Großstädten wie Berlin, München oder Hamburg liegt der Anteil sogar noch höher.
Gründe für den Trend:
- Hohe Belastung im Festanstellungsverhältnis: Viele Pflegekräfte wechseln in die Zeitarbeit, um Burnout, Überstunden und Dauernachtwachen zu entgehen.
- Attraktive Konditionen: Höhere Stundenlöhne, Dienstplanmitgestaltung, freie Wochenenden oder Wunschdienste machen Zeitarbeit attraktiv.
- Selbstbestimmung & Flexibilität: Zeitarbeit bietet Pflegekräften die Möglichkeit, zwischen Einrichtungen zu wechseln, verschiedene Bereiche kennenzulernen und eigene Grenzen zu ziehen.
Auf der anderen Seite stehen die Einrichtungen, die auf Zeitarbeitskräfte angewiesen sind, um Dienste überhaupt abdecken zu können – was jedoch die Kostenbelastung deutlich erhöht.
Weitere Hintergründe zum Personalmangel findest du unter
👉 Pflegekräftemangel in Deutschland – Ursachen und Lösungen
Auswirkungen auf das Gesundheitswesen
1. Vorteile für Pflegekräfte
Die Zeitarbeit bietet vielen Pflegenden eine echte Entlastung.
Zu den meistgenannten Vorteilen gehören:
- Höheres Einkommen: Durchschnittlich 20–30 % mehr Lohn als im Tarifvertrag.
- Planbare Freizeit: Wunschdienste und flexible Arbeitszeitgestaltung.
- Weniger Überstunden & Pflichtdienste: Keine spontane Einspringpflicht.
- Vielfältige Erfahrung: Einsätze in verschiedenen Fachbereichen und Kliniken fördern berufliche Weiterentwicklung.
- Selbstbestimmung & Freiheit: Pflegekräfte erleben wieder Kontrolle über ihre Arbeit und ihr Privatleben.
Viele Zeitarbeiterinnen berichten, dass sie ihre Leidenschaft für den Beruf wiederentdeckt haben – ein starkes Zeichen für strukturelle Probleme in den Stammbelegschaften.
2. Nachteile & Herausforderungen
Doch die Medaille hat zwei Seiten.
Die Kehrseite der Zeitarbeit sind vor allem Belastungen für das Stammpersonal und Kosten für Einrichtungen:
- Teamspaltung: Stammkräfte fühlen sich oft benachteiligt, da Zeitarbeitende bessere Bedingungen haben.
- Kostensteigerung: Zeitarbeitsfirmen verlangen Stundensätze, die bis zu doppelt so hoch sind wie Tariflöhne.
- Fluktuation: Häufige Personalwechsel erschweren eingespielte Abläufe.
- Einarbeitung & Kommunikationsprobleme: Neue Zeitarbeitskräfte müssen immer wieder eingewiesen werden.
- Abhängigkeit: Einrichtungen, die dauerhaft Zeitarbeit nutzen, verlieren Planungssicherheit.
Diese strukturelle Schieflage zeigt: Zeitarbeit löst Symptome, aber nicht die Ursachen des Personalmangels.
Praxisbeispiele: Zeitarbeit zwischen Rettungsanker und Belastung
Ein Beispiel aus Nordrhein-Westfalen zeigt die Ambivalenz deutlich:
Ein Krankenhaus in Köln konnte dank Zeitarbeitskräften seine Intensivstation weiterbetreiben – ohne sie wäre eine Schließung unvermeidbar gewesen.
Gleichzeitig musste die Klinik über 1,2 Mio. € zusätzlich an Personaldienstleister zahlen – Kosten, die anderswo fehlten.
In einem Altenheim in Bayern hingegen führte der Einsatz von Zeitarbeitern zu positiver Entlastung. Die Leitung führte ein geregeltes Rotationssystem ein: Zeitarbeitende werden in feste Teams integriert, übernehmen Springerfunktionen und werden aktiv in Teammeetings eingebunden.
Das Ergebnis: weniger Konflikte, stabilere Dienstpläne und zufriedene Mitarbeitende.
Diese Praxisbeispiele zeigen: Zeitarbeit ist nicht per se schlecht – entscheidend ist, wie sie umgesetzt wird.
Lösungsansätze: Wie Zeitarbeit fair und sinnvoll funktionieren kann
1. Faire Bedingungen für alle
Einrichtungen müssen langfristig wieder attraktiver für festangestellte Pflegekräfte werden.
Dazu gehören:
- faire Bezahlung,
- Mitspracherecht bei Dienstplanung,
- moderne Arbeitszeitmodelle,
- gezielte Weiterbildung.
➡️ Weiterbildung in der Pflege – Wege zur Spezialisierung
2. Zeitarbeit als temporäre Brücke nutzen
Zeitarbeit sollte als Übergangsinstrument dienen, nicht als Dauerlösung.
Statt sie zu verbieten (wie es einige Politiker fordern), sollten klare Rahmenbedingungen geschaffen werden:
- faire Vergütung ohne Ausbeutung beider Seiten,
- Integrationspflicht in bestehende Teams,
- Förderung von Rückkehrprogrammen für Zeitarbeiter*innen in Festanstellung.
3. Digitalisierung & bessere Organisation
Viele Personalengpässe entstehen durch ineffiziente Dienstplanung oder fehlende digitale Tools.
Softwarelösungen können helfen, Dienste gerechter zu verteilen und Schichten frühzeitig abzusichern.
Lesetipp:
👉 Digitalisierung im Gesundheitswesen – Chancen und Risiken
4. Ambulantisierung & neue Rollenmodelle
Ein Teil der Lösung liegt auch im Wandel des Systems: mehr ambulante Versorgung, spezialisierte Pflegekräfte, sektorenübergreifende Teams.
Dadurch können Fachkräfte flexibler eingesetzt werden – auch ohne ständige Überlastung.
Mehr dazu unter:
👉 Ambulantisierung im Gesundheitswesen in Deutschland
Fazit
Die Zeitarbeit in der Pflege ist Symptom und Chance zugleich.
Sie zeigt, dass flexible Arbeitsmodelle funktionieren können – aber auch, wie stark das System an gerechter Personalpolitik und Wertschätzung krankt.
Pflegekräfte in der Zeitarbeit genießen zu Recht mehr Freiheit, doch diese Freiheit darf nicht auf Kosten der Versorgungssicherheit gehen.
Langfristig braucht es einen strukturellen Wandel, der faire Bedingungen für alle schafft – egal, ob angestellt oder über Zeitarbeit tätig.
Nur so kann Pflege wieder das werden, was sie sein sollte: ein Beruf mit Sinn, Stabilität und Zukunft.
📚 Lesetipps
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